Über das Projekt
Die internationale Verbreitung von Texten der in Wien geborenen Starautorin Vicki Baum (1888–1960) durch Zeitschriften, Bücher, Bühne und Film hat dazu geführt, dass das Interesse am Werk dieser Autorin jüdischer Herkunft auch jenseits des literarischen Kanons weiterlebte und die literarischen Qualitäten ihrer Schriften wiederentdeckt und mittlerweile zunehmend seitens der Literaturwissenschaft gewürdigt werden. Dazu hat eine veränderte, institutionskritische Haltung gegenüber Mechanismen der Kanonisierung, die zum Ausschluss erfolgreich schreibender Frauen führten, ebenso beigetragen wie ein gesteigertes Interesse an den Funktionsweisen von Massen- und Populärkultur, insbesondere in der Zwischenkriegszeit.
Dies ermöglichte auch eine Neubewertung der lange Zeit als ‚bloße‘ Unterhaltungsliteratin diskreditierten Baum. Eine wesentliche Rolle spielten dabei die bisherigen Ausgaben ihrer Texte mit häufig fehlenden oder neu übersetzten Paratexten. Um die mehrfachen Rezeptionsmöglichkeiten von Baums Werken in ihrer spezifischen Poetik zu erkennen, die sich transmedialer und intratextueller Anspielungen sowie autofiktionaler und faktualer Schreibweisen bedient, braucht es jedoch eine Edition, welche die Texte nicht nur kommentarlos präsentiert, sondern in ihren soziohistorischen, literatur-, medien- und genderspezifischen Kontexten erschließt.
Ziel der zunächst auf sechs Bände projektierten Edition war daher die Erarbeitung einer allgemein zugänglichen, zuverlässigen, kommentierten und kontextualisierten Ausgabe ausgewählter Werke Baums, um dieses Desiderat zu schließen. Die Bände präsentieren zentrale Prosatexte, die mit Ausnahme von Menschen im Hotel nicht mehr lieferbar waren und erstmals die thematische, erzählerische, mehrsprachige Bandbreite der unterschiedlichen Stationen Baums zwischen Wien, Berlin und Hollywood abbilden: Die frühe, Baums Förderer Thomas Mann gewidmete Novellensammlung Die andern Tage (1922/31), die neusachlichen Ullstein-Romane stud. chem. Helene Willfüer (1928/29) und Menschen im Hotel. Ein Kolportageroman mit Hintergründen (1929, ergänzt um den bislang unveröffentlichten Erstdruck der Theaterfassung von 1930), den (selbst)kritischen Filmroman Leben ohne Geheimnis (1932), den sich zwischen Autobiografie und Zeitgeschichte bewegenden Roman Marion lebt (Marion Alive 1942) sowie den 1945 erstmals auf Deutsch erschienenen, kapitalismus- und kolonialismuskritischen Rohstoff-Text Kautschuk (The Weeping Wood 1943) in neuer Übersetzung.

Aktuellen Editionsgepflogenheiten entsprechend und zugleich ein Novum für die Texte Baums erscheint zu der 2025 vom Wallstein Verlag realisierten Druckausgabe eine begleitende Webseite. D. h., dass zusätzlich zu den Themenkommentaren der Printbände sowohl Bild- und Tonmaterial als auch umfangreichere Dokumente zur Entstehung, Rezeption und Adaption der Texte auf dieser Internetplattform zugänglich gemacht werden. Mit dem Ablauf des Urheberrechts von Baums Werken im Jahr 2031 erscheinen auch die kommentierten Primärtexte online, die sich an der Textfassung der ersten Buchpublikation orientieren.
Neben einer kurzen Zusammenfassung, die jeweils als Einführung zu den einzelnen Bänden dient, greifen die Themenkommentare unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte heraus. Die Entstehungs- und Publikationsgeschichte der Texte sowie ihre Rezeption konnte nicht nur durch Verlinkungen in bereits bestehende digitale Quellenbestände von Bibliotheken und Archiven erschlossen und illustriert werden, sondern auch anhand von neu digitalisierten Dokumenten, u. a. aus der Akademie der Künste, Berlin, wo der Nachlass Vicki Baums liegt, dem Vertragsarchiv der Ullstein Buchverlage, Berlin sowie dem Historischen Archiv der Stadt Köln (Kiepenheuer & Witsch-Nachlass). Den aktuellen Standards für digitale Projekte entsprechend sind alle Materialien über das Repositorium Phaidra an der Universität Wien langzeitarchiviert und mit strukturierten Metadaten erschlossen.
