Kritik oder Affirmation?

Vicki Baums Haltung zu Hollywood, die sich in Leben ohne Geheimnis zeigt, ist also letztendlich eine ambivalente und weder eine ausschließliche Demontage noch Affirmation des Sehnsuchtsortes; mit der Darstellung des Scheiterns der Filmstars und jener, die es werden wollen, geht keine konservative Kulturkritik und keine allgemeine Verurteilung des neuen Mediums Film einher – ähnlich wie in Arnolt Bronnens Roman Film und Leben Barbara La Marr (1927), der wenige Jahre vor Leben ohne Geheimnis die Geschichte des Aufstiegs einer Diva in der Filmwelt Hollywoods erzählt (vgl. Capovilla 1994, 81–96). Dabei können Baums Romane durchaus vor dem Kontext des zeitgenössischen Kulturpessimismus gelesen werden: Es handelt sich um einen Diskurs, „dessen wesentliche Elemente die Verdammung der Großstadt und die Angst vor der Massengesellschaft sind. Urbanisierung und die Angst vor Nivellierungsprozessen durch die populäre Zerstreuungskultur waren allgegenwärtige Themen“ (Capovilla 2004, 100); ein Beispiel dafür ist Ilja Ehrenburgs Bestseller Die Traumfabrik. Chronik des Films (1931), der aus kapitalismuskritischer Perspektive die Filmproduktionswelt Hollywood schildert.

In der Filmbranche muss kalkuliert werden: Filme wie jene, die in Leben ohne Geheimnis vorgestellt und erwähnt werden, haben nicht den Anspruch, Kunst zu sein; sie zielen darauf ab, das Publikum zu unterhalten und damit möglichst viel Gewinn einzubringen. Baum schildert die Entstehungsprozesse mit erkennbarer Ironie; so hat sich etwa das Publikum an Happy Ends sattgesehen und macht einen Film zur Sensation, in dem ein Liebespaar in einer Gletscherspalte verunglückt (ein motivischer Vorgriff auf ihren zehn Jahre später erschienenen Roman Marion Alive/Marion lebt). Die unglücklichen Schlüsse werden damit zum Trend und an Olivers neuen Film muss kurzfristig ein tragisches Ende mit Autounfall hinzugefügt werden.

Baum bleibt bei ironischen Gesten: Sie führt zwar den kalten berechnenden Zynismus und die Skrupellosigkeit der Filmindustrie vor, in der ein bei der Premiere totgetrampelter Mensch für die Publicity mehr wert ist als einige Rippenbrüche, aber diese Situationen werden nur in den seltensten Fällen zur explizit ausgesprochenen Kritik. Typisch sind auch hier, so Andrea Capovilla, wie für andere Texte Baums, „sowohl kapitalismuskritische[] als auch -affine[] Elemente[]“ (Capovilla 2022, 45), der Roman sei „Kritik und Tribut zugleich“ (Capovilla 2022, 51; vgl. dazu auch Nottelmann 2007, 178); und Baum selbst nennt Hollywood in einem Feuilleton „ein Schlachtfeld, das im Paradies liegt“ (Baum 2018, 259). Diese Ambivalenz, d. h. die Unmöglichkeit, Baums Texte eindeutig ideologisch zu verorten – was Baum auch ein Anliegen war – machte wohl auch einen Teil ihres Erfolges aus (vgl. Gürtler 2013, 257).

Wenngleich Baums Blick auf die Filmindustrie und die Ausbeutung der Protagonist*innen im Roman durchaus kritisch ist, so zollt er der Kameraderie in Hollywood auch durchaus Anerkennung und entzieht sich gleichzeitig nicht dem Pathos und Melodrama (vgl. u. a. Rutz 2000, 56f.; Nottelmann 2002, 74f., 228–233; Capovilla 2022, 46f.), vor allem in der Figur der Donka, die vor dem Ausdruck großer Gefühle nicht zurückschreckt (zum Melodrama in von Frauen geschriebenen Texten in der Weimarer Republik vgl. u. a. Barndt 2003, 7, 13; Streitler-Kastberger 2022, 42). Baum spielt hier mit Elementen und Versatzstücken der Kolportage und Populärliteratur, ironisiert diese aber immer wieder. Letztendlich wird Donka nicht zum Klischee, weil ihr Verhalten bis zum Ende nicht berechenbar bleibt, an ihr funktioniert die Unterscheidung von ‚Gut‘ und ‚Böse‘ nicht deutlich. 

Laura Tezarek

Literatur

  • Barndt 2003 - Kerstin Barndt: Sentiment und Sachlichkeit. Der Roman der Neuen Frau in der Weimarer Republik. Köln u. a. 2003.
  • Baum 2018 - Vicki Baum: Unglücklich in Hollywood! Das Leben der großen und kleinen Sterne [1932]. In: Dies.: Makkaroni in der Dämmerung. Feuilletons. Hg. v. Veronika Hofeneder. Wien 2018, 259–264.
  • Capovilla 1994 - Andrea Capovilla: Der lebendige Schatten. Film in der Literatur bis 1938. Wien u. a. 1994.
  • Capovilla 2004 - Andrea Capovilla: Entwürfe weiblicher Identität in der Moderne. Milena Jesenská, Vicki Baum, Gina Kaus, Alice Rühle-Gerstel. Studien zu Leben und Werk. Oldenburg 2004.
  • Capovilla 2022 - Andrea Capovilla: Vicki Baum und der Film. In: Text + Kritik 235, 2022: Vicki Baum. Hg. v. Julia Bertschik u. a., 45–52.
  • Gürtler - 2013 Christa Gürtler: Doch keine „150-prozentige Amerikanerin“ – Vicki Baums kritische Liebesbeziehung zu Amerika. In: Lifestyle – Mode – Unterhaltung oder doch etwas mehr? Die andere Seite der Schriftstellerin Vicki Baum (1888–1960). Hg. v. Susanne Blumesberger und Jana Mikota. Wien 2013, 255–269.
  • Nottelmann 2002 - Nicole Nottelmann: Strategien des Erfolgs. Narratologische Analysen exemplarischer Romane Vicki Baums. Würzburg 2002.
  • Nottelmann 2007 - Nicole Nottelmann: Die Karrieren der Vicki Baum. Eine Biographie. Köln 2007.
  • Rutz 2000 - Gerd-Peter Rutz: Darstellungen von Film in literarischen Fiktionen der zwanziger und dreißiger Jahre. Münster und Hamburg 2000.
  • Streitler-Kastberger 2022 - Nicole Streitler-Kastberger: Geschlechter, Waren, Räume. Vicki Baum, die Neue Frau und der Neue Mann in Hotel, Schönheitssalon und Warenhaus. In: Text + Kritik 235, 2022: Vicki Baum. Hg. v. Julia Bertschik u. a., 36–44.